Wie weit kann man Gleichstrom transportieren?

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Die wirtschaftliche Transportgrenze für Gleichstrom über Freileitungen liegt bei über 600 bis 800 Kilometern, ab wann Hochspannungsgleichstrom (HGÜ) vorteilhafter wird.
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Die Reichweite von Gleichstrom: Wann Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) die Nase vorn hat

Die Frage, wie weit man Gleichstrom transportieren kann, lässt sich nicht mit einer einfachen Kilometerzahl beantworten. Sie hängt von einer Vielzahl wirtschaftlicher und technischer Faktoren ab, die letztendlich die Entscheidung für oder gegen Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) beeinflussen. Während Wechselstrom (AC) historisch dominierte, gewinnt HGÜ aufgrund seiner Vorteile bei Langstreckenübertragungen zunehmend an Bedeutung.

Die wirtschaftliche Transportgrenze für Gleichstrom über Freileitungen wird oft im Bereich von 600 bis 800 Kilometern angegeben. Diese Zahl ist jedoch eine grobe Annäherung und keine feste Grenze. Innerhalb dieses Bereichs kann Wechselstrom durchaus wettbewerbsfähig bleiben, insbesondere bei niedrigeren Übertragungsleistungen. Die Wirtschaftlichkeit hängt entscheidend von folgenden Faktoren ab:

  • Übertragungsleistung: Bei hohen Übertragungsleistungen werden die Verluste im Leitungsnetz proportional geringer. Daher wird HGÜ bereits bei kürzeren Strecken rentabel, wenn große Energiemengen transportiert werden müssen, beispielsweise bei der Anbindung großer Offshore-Windparks.

  • Leitungsquerschnitt und Materialkosten: Dickere Leiter reduzieren zwar die ohmschen Verluste, erhöhen aber gleichzeitig die Materialkosten. HGÜ-Leitungen können bei gleicher Übertragungsleistung einen geringeren Querschnitt aufweisen, was zu Einsparungen führen kann.

  • Spannungsebene: Höhere Gleichspannungen ermöglichen geringere Stromstärken und somit reduzierte Verluste. Die Entwicklung immer höherer Spannungsebenen für HGÜ-Systeme treibt die wirtschaftliche Transportgrenze stetig nach oben.

  • Topografie und Umgebung: Bergige Regionen oder schwierige Geländestrukturen können die Kosten für den Leitungsbau deutlich erhöhen. In solchen Fällen kann der Vorteil von HGÜ, trotz geringerer Leitungslängen, schon früher zum Tragen kommen.

  • Umweltbelastung: Die Umweltverträglichkeit spielt eine immer wichtigere Rolle. HGÜ-Leitungen können im Vergleich zu Wechselstromleitungen bei gleicher Leistung weniger Platz benötigen und somit die Flächenversiegelung reduzieren.

Wann wird HGÜ vorteilhafter?

Obwohl die 600-800 Kilometer-Marke als Richtwert für die wirtschaftliche Grenze gilt, wird HGÜ oft schon ab kürzeren Entfernungen bevorzugt, wenn:

  • Asynchrone Netze verbunden werden sollen: HGÜ ermöglicht die Verbindung von Wechselstromnetzen mit unterschiedlichen Frequenzen, was bei der internationalen Vernetzung von Stromnetzen unerlässlich ist.

  • Große Leistung über lange Distanzen transportiert werden muss: Bei der Übertragung von Energie aus entfernten Wasserkraftwerken oder großen Solarkraftwerken in sonnenreichen Gebieten ist HGÜ oft die effizientere Lösung.

  • Die Integration von Erneuerbaren Energien gefördert werden soll: HGÜ-Übertragung vereinfacht die Integration dezentraler erneuerbarer Energiequellen ins Stromnetz und erhöht dessen Stabilität.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wirtschaftliche Transportgrenze für Gleichstrom keine feste Größe ist. Die Entscheidung für HGÜ oder Wechselstromübertragung hängt von einer komplexen Abwägung verschiedener Faktoren ab. Während 600-800 Kilometer einen groben Richtwert darstellen, kann HGÜ bereits bei kürzeren Strecken wirtschaftlicher sein, insbesondere bei hohen Übertragungsleistungen und der Notwendigkeit, asynchrone Netze zu verbinden. Die stetige technologische Weiterentwicklung im Bereich der HGÜ-Technik verschiebt diese Grenze stetig nach unten und macht HGÜ auch für mittlere Strecken immer attraktiver.