Können Depressionen körperliche Ursachen haben?

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Depressionen entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren. Neurobiologische Prozesse im Gehirn, genetische Veranlagung und körperliche Veränderungen spielen dabei eine entscheidende Rolle, neben den bekannten psychosozialen Einflüssen. Die Erkrankung ist somit oft multifaktoriell bedingt.

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Depression: Nur Kopfsache? Der Einfluss körperlicher Faktoren

Lange Zeit wurden Depressionen primär als psychische Erkrankung betrachtet, als ein Problem “zwischen den Ohren”. Doch diese Sichtweise ist vereinfacht und vernachlässigt die wachsende Erkenntnis über den erheblichen Einfluss körperlicher Faktoren auf die Entstehung und den Verlauf depressiver Störungen. Es ist heute unbestritten: Depressionen können durchaus körperliche Ursachen haben, und die Interaktion zwischen Körper und Geist spielt eine zentrale Rolle.

Ein wichtiger Aspekt sind neurobiologische Prozesse im Gehirn. Ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin wird seit langem mit Depressionen in Verbindung gebracht. Diese Botenstoffe steuern Stimmung, Antrieb und Schlaf-Wach-Rhythmus. Eine reduzierte Verfügbarkeit dieser Neurotransmitter kann zu den typischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen führen. Auch strukturelle Veränderungen im Gehirn, beispielsweise in der Amygdala (zuständig für die Verarbeitung von Emotionen) oder im Hippocampus (zuständig für das Gedächtnis), werden in Studien bei depressiven Personen beobachtet. Diese Veränderungen sind jedoch nicht zwangsläufig Ursache, sondern können auch Folge der Erkrankung sein.

Die genetische Veranlagung ist ein weiterer bedeutender Faktor. Familienanamnese spielt eine Rolle: Personen mit Angehörigen, die an Depressionen leiden, haben ein erhöhtes Risiko, selbst an der Erkrankung zu erkranken. Genetische Studien identifizieren immer mehr Gene, die mit der Vulnerabilität für Depressionen assoziiert sind, beeinflussen aber nicht deterministisch die Erkrankung. Die Gene interagieren komplex mit Umwelteinflüssen und schaffen so ein individuelles Risikoprofil.

Darüber hinaus können diverse körperliche Erkrankungen Depressionen begünstigen oder sogar auslösen. Dies gilt etwa für Schilddrüsenerkrankungen (Hypothyreose), bestimmte hormonelle Veränderungen (z.B. in den Wechseljahren), chronische Schmerzen, Schlafmangel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose. Die Behandlung der Grunderkrankung kann in solchen Fällen zu einer deutlichen Verbesserung der depressiven Symptome führen.

Auch entzündliche Prozesse im Körper stehen immer stärker im Fokus der Forschung. Studien zeigen, dass erhöhte Entzündungsmarker im Blut mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert sind. Die genaue Wirkungsweise ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird vermutet, dass Entzündungen die Gehirnfunktion beeinträchtigen und die Neurotransmitterproduktion beeinflussen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Depressionen sind keine reine Kopfsache. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen neurobiologischen Prozessen, genetischen Faktoren und körperlichen Erkrankungen unterstreichen die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes in der Diagnostik und Therapie. Eine gründliche körperliche Untersuchung und die Berücksichtigung möglicher somatischer Ursachen sind daher unerlässlich, um eine adäquate Behandlung zu gewährleisten. Die Behandlung sollte neben psychotherapeutischen Interventionen und gegebenenfalls medikamentösen Therapien auch die Behandlung möglicher körperlicher Begleiterkrankungen umfassen. Nur so kann eine nachhaltige Verbesserung des Zustands erreicht werden.