Haben alle Wirbeltiere vier Gliedmaßen?

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Im Fluss der Evolution haben alle kiefertragenden Wirbeltiere vier Gliedmaßen oder Flossen entwickelt, je ein Paar an Vorder- und Hinterseite. Diese Anordnung ist jedoch nicht statisch geblieben, und die Form dieser Gliedmaßen hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt.

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Vier Gliedmaßen – ein Wirbeltier-Mythos? Die Vielfalt der Extremitäten im Tierreich

Die Aussage „Alle Wirbeltiere haben vier Gliedmaßen“ ist eine weitverbreitete Vereinfachung, die, obwohl sie auf einem wichtigen evolutionären Prinzip beruht, nicht die gesamte Komplexität der Wirbeltierentwicklung widerspiegelt. Während es stimmt, dass die meisten Landwirbeltiere (Tetrapoda) – also Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere – vier Gliedmaßen besitzen, ist diese Aussage für die gesamte Gruppe der Wirbeltiere irreführend.

Der gemeinsame Vorfahre der Landwirbeltiere besaß tatsächlich vier Gliedmaßen, oder genauer gesagt, vier Flossen, die sich im Laufe der Evolution zu den vielfältigen Extremitätenformen von heute entwickelten. Diese Entwicklung ist ein Paradebeispiel für adaptive Radiation: Aus einem Grundmuster entstanden durch natürliche Selektion die unterschiedlichsten Ausprägungen, perfekt angepasst an jeweilige ökologische Nischen. Flossen von Fischen, Flügel von Vögeln, die Grabpfoten eines Maulwurfs und die Hände des Menschen sind allesamt Abwandlungen desselben Grundbauplans.

Doch die Evolution ist kein geradliniger Prozess. Viele Wirbeltiergruppen haben im Laufe ihrer Entwicklung Gliedmaßen sekundär reduziert oder verändert. Schlangen beispielsweise haben ihre Gliedmaßen vollständig verloren, eine Anpassung an ihren kriechenden Lebensstil. Auch einige Echsenarten zeigen eine Reduktion ihrer Gliedmaßen. Walen und Delfinen fehlen ebenfalls die typischen vier Gliedmaßen der Landwirbeltiere; ihre Vordergliedmaßen sind zu Flossen umgebildet, während ihre Hintergliedmaßen vollständig reduziert sind. Diese Beispiele demonstrieren eindrücklich, dass der Besitz von vier Gliedmaßen kein universelles Merkmal aller Wirbeltiere ist.

Selbst innerhalb der Tetrapoda gibt es Variationen. Manche Amphibien, wie beispielsweise bestimmte Molcharten, zeigen eine Reduktion der Gliedmaßen oder eine stark veränderte Morphologie. Auch bei einigen fossilen Tetrapoden finden sich abweichende Gliedmaßen-Anordnungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Während die Entwicklung von vier Gliedmaßen (oder Flossen) ein entscheidender Schritt in der Evolution der Wirbeltiere war und ein gemeinsames Merkmal vieler Gruppen darstellt, ist es kein universelles Kennzeichen. Die immense Vielfalt der Wirbeltiere spiegelt sich auch in der unglaublichen Bandbreite an Extremitätenformen wider, die durch den Prozess der natürlichen Selektion über Millionen von Jahren geformt wurden. Die Reduktion oder der vollständige Verlust von Gliedmaßen ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Anpassungsfähigkeit des Lebens und zeigt, wie flexibel evolutionäre Prozesse sein können.