Ist der obere Erdmantel zähflüssig?

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Im äußeren Erdmantel herrschen immense Drücke und Temperaturen, die das Gestein in einem zähflüssigen, fließfähigen Zustand halten. Diese langsame Bewegung des geschmolzenen Gesteins treibt die Konvektionsströme an und beeinflusst die Plattentektonik an der Erdoberfläche.
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Ist der obere Erdmantel zähflüssig? Ein Blick auf Rheologie und Plattentektonik

Die Frage, ob der obere Erdmantel zähflüssig ist, lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Die Aussage, dass er “zähflüssig” sei, ist eine Vereinfachung, die zwar den grundlegenden Mechanismus der Plattentektonik erklärt, aber die komplexen rheologischen Eigenschaften des Erdmantels nicht vollständig abbildet.

Im äußeren Erdmantel herrschen tatsächlich immense Drücke und Temperaturen (zwischen etwa 600 und 1200 °C). Diese Bedingungen führen dazu, dass das Gestein nicht im Sinne einer Flüssigkeit wie Wasser fließt, sondern sich in einem duktilen Zustand befindet. Duktilität beschreibt die Fähigkeit eines Materials, sich unter Druck plastisch zu verformen, ohne zu brechen. Man kann sich dies als sehr zähflüssiges, extrem langsam fließendes Material vorstellen, dessen Fließverhalten stark von Temperatur, Druck und Zusammensetzung abhängt. Die Fließgeschwindigkeit ist im Vergleich zu unseren menschlichen Zeitmaßstäben extrem gering – Zentimeter pro Jahr sind typische Werte.

Dieser langsame, aber stetige Fluss des Gesteins im äußeren Erdmantel ist der Motor der Konvektionsströme. Heißeres, weniger dichtes Gestein steigt auf, kühlt an der Oberfläche ab und sinkt dann wieder in die Tiefe ab. Diese Konvektionszellen treiben die Bewegung der tektonischen Platten an der Erdoberfläche an. Die Platten “schweben” gewissermaßen auf diesem fließenden, duktilen Material.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Duktilität des Erdmantels nicht homogen ist. Die Rheologie variiert stark mit der Tiefe, der Temperatur und der Zusammensetzung des Gesteins. In der Nähe der Lithosphäre, der starren, äußeren Schicht der Erde, verhält sich der Mantel eher spröde und bricht, was zu Erdbeben führt. Tiefer im Mantel dominiert die duktile Verformung. Die genaue Beschreibung des Fließverhaltens erfordert komplexe rheologische Modelle, die die verschiedenen Faktoren berücksichtigen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der obere Erdmantel ist nicht im herkömmlichen Sinne zähflüssig wie etwa Honig. Er befindet sich jedoch in einem duktilen Zustand, der ein sehr langsames, plastisches Fließen ermöglicht. Dieses Verhalten ist fundamental für die Plattentektonik und die Geodynamik der Erde. Die Vereinfachung “zähflüssig” hilft zwar bei der grundlegenden Erklärung, birgt aber die Gefahr einer zu stark vereinfachenden Vorstellung der komplexen Prozesse im Erdinneren.